Ja, es ist passiert, Chris hat ihr einen Heiratsantrag gemacht. Ihr Herz schlägt schnell. Sie meint, dass sich die Schläge sogar überkreuzen. Folge einer Ausschüttung purer Glückshormone! Nur zu gern kuschelt sich Sina an seine Brust, überwältigt von einem Gefühl, das schon lange nicht mehr so intensiv gewesen ist. Was ist das?
Schnell, blitzartig ziehen Bilder wie in einer Slight-Show in Sina auf, die viel zu schnell hintereinanderweg laufen. »Unser erster gemeinsamer Abend noch in der Schulzeit. Sein erster Kuss und die Schmetterlinge, die einfach nicht rasten wollten in meinem Bauch. Die vielen, langen Trennungen nach dem Abi, weil ich eine Ausbildung begonnen habe und Chris hat studiert. Seine monatelangen Praktika im Ausland. Und seitdem sind wir eigentlich auch nicht ständig zusammen, weil Chris einfach dauernd beruflich auf Reisen ist. Dafür ist sein Heimkommen jedes Mal umwerfend. Schon acht Jahre sind wir nun so zusammen, und nie habe ich gezweifelt an unserer Liebe.«
Und dennoch. Vieles ist inzwischen einfach auch ein wenig selbstverständlich geworden. Nun endlich hat Chris den Zeitpunkt für gekommen gehalten, sich ganz und gar an Sina zu binden, ohne wenn und aber. Er hat sich sehr viel Mühe gegeben, für romantische Atmosphäre gesorgt, ist besonders liebevoll gewesen den ganzen Tag und hat einen wirklich besonderen Augenblick abgepasst, Sina zu fragen, ob sie seine Frau werden möchte. Und nun kuschelt sie sich an ihn. Er fühlt, wie ihr Herz wild pocht, genau wie seins. Aber warum antwortet sie nicht? Ist sie so überwältigt? Oder hat er sich so sehr getäuscht? Gibt es da etwas, was er vielleicht bei seinen häufigen Abwesenheiten einfach nicht mitbekommen hat? Chris wird unsicher.
»Ich liebe dich wirklich über alles, mein Schatz!« Chris ergreift das Wort. Er hält das Warten auf Sina’s Antwort so einfach nicht mehr aus. »Ich möchte mir eine Zukunft ohne dich einfach nicht mehr vorstellen. Und deshalb will ich Dir mit allen Konsequenzen gehören.« Ja, Sina möchte »ja« sagen. Aber irgendetwas hält sie zurück. Warum nur? Sie kann es sich auch nicht erklären. Gehört sie denn zu den Frauen, die dann, wenn es wirklich ernst wird, kneifen? Panik bekommen? Langsam antwortet sie: »Du hast mir schon viele tolle Geschenke gemacht, mich immer wieder neu überrascht, bist der liebevollste Mensch, den ich mir vorstellen kann, und – ja – ja, ich möchte sehr, sehr gern Deine Frau werden.«
Chris ist einfach nur gerührt. Keinen Moment lässt er seiner Sina, um weiterzusprechen, und küsst sie lang und anhaltend. Dann streichelt er zart Ihre Wangen, sieht in ihre Augen und sieht nur Liebe. »Chris, mein Schatz, ich möchte – und wie ich möchte! Aber ich möchte, dass wir uns beweisen, dass auch härteste Umstände uns nicht auseinanderbringen. Dass wir uns immer – auch unter extremen Situationen – voll aufeinander verlassen können.« Chris begreift nicht. Aber natürlich ist er immer für sie da. »Was meinst Du? Ich habe das nie in Frage gestellt.« Chris ist völlig irritiert.
Sina kommt gerade selber nicht ganz mit sich klar. Ist sie denn komplett verrückt? Seit Jahren wünscht sie sich nichts sehnlicher, als eine eigene Familie mit Chris zu gründen, und nun gibt sie ihm Rätsel auf? Was soll das nur? Und nun werden ihre Augen auch noch feucht. Träne für Träne fällt auf Chris’ Brust. Der findet langsam seine Sprache wieder. Behutsam hält er seine Liebste im Arm. »Was ist denn nur mit Dir? Was möchtest Du, das ich tu?« Da kommt Sina eine Idee. Sie hat erst kürzlich von einem Angebot in Schweden gelesen, wo man einen Abenteuerurlaub machen kann, der einem schon richtig etwas abverlangt. »Ich liebe dich ja, ganz ehrlich. Und dein Antrag ist das Beste, was mir bisher passiert ist. Aber Du hast mich so sehr überrascht damit, dass in mir irgendwie alles spinnt.« Chris trocknet ihr die Tränen und drückt Sina noch fester an sich. »Chris, habe ich einen Wunsch frei?« »Das kommt darauf an«, sagt Chris ehrlich überrascht. War etwa der Ring, den er Sina geschenkt hat, nicht der richtige? Bisher hat er immer ihren Geschmack getroffen. Aber im Moment ist sie ihm so fremd wie nie. So kennt er sie gar nicht. Ein merkwürdiges Gefühl befällt ihn.
»Du Chris, ich habe da kürzlich eine Anzeige gelesen: Machen Sie Urlaub in Schweden und erkennen Sie Ihre Grenzen. Da bietet ein Deutscher Unterkunft in einfachsten Verhältnissen seines Hauses an in einer kleinen Siedlung weit ab vom üblichen Tourismus. Er unternimmt mit seinen Gästen Tagestouren in die Wildnis bei Eis und Schnee bis 20 ° minus. Wer möchte, mit dem verbringt er auch eine Nacht im Zelt. Ich habe mir dann auch seine Internetseite angesehen. Ich würde das wirklich gern machen mit Dir! Ich möchte gern mit Dir einen Ausnahmezustand erleben. Wir kennen uns einfach schon so lange, sind so sehr aufeinander eingespielt. Aber wir waren noch nie gemeinsam in einer Situation, die alle Kräfte von uns gefordert hat. Was meinst Du?«
Chris ist erstaunt. Solche Wünsche hat er nun gar nicht erwartet. Haben sie nicht alles, was sie brauchen? Eine schöne Wohnung, Freunde und Bekannte, herrliche Wochenenden, wunderbare Nächte, wenn er zu Hause ist? Langsam stellt sich eine Ahnung ein, was Sina meint. Hat er nicht selbst gerade noch gemeint, dass er seine Verlobte so gar nicht kennt, wie eben? Und weiß er wirklich, ob Sina Freunde und Bekannte in genau derselben Weise schätzt wie er? Oder macht sie einfach mit, weil sie ihn liebt? Was bewegt Sina am Tag? Und ist es nicht so, dass er mit ihr über viele Dinge, die seinen geschäftlichen Alltag prägen, gar nicht sprechen kann, weil sie das einfach nicht einordnen könnte? Und weil er auch in der begrenzten Zeit nicht mit ihr über berufliche Dinge sprechen möchte?
»Ich glaube, ich weiß, was Du meinst, und ich meine, dass wir die Herausforderung annehmen. Lass uns unser Ja damit besiegeln. Ich möchte Dir so nahe sein, wie ich nur kann. Und ich wünsche mir, dass Du Dich an mich schmiegst. Und wenn ein böser Wolf kommt, dann fresse ich ihn.« Ein Lächeln umspielt Sina’s Mund. Gerührt rollen wieder heiße Tränen aus ihren Augen. »Was habe ich denn nun wieder verbrochen, dass Du so weinen musst, mein Schatz? Ich hatte mir das eigentlich ein wenig anders vorgestellt heute Abend. Nie möchte ich dich zum Weinen bringen!« Chris holt ein blütenweißes Papiertaschentuch von der Konsole und reicht es Sina, nimmt die langstielige dunkelrote Baccara-Rose, die er durch ein Herz von Blütenblättern gelegt hatte, und streicht Sina damit um die Nase. Sina schlingt ihre Arme um Chris’ Hals und möchte eigentlich nur noch lieb gehabt werden. Was für einen tollen Typen hat sie doch da an ihrer Seite! Und der hat sie gefragt, ob sie seine Frau werden möchte. Eigentlich ist sie selig, weil sie eigentlich gar nichts anderes will.